Römische Briefe II


 Von Uwe Niemeier

 

Pantheon bei Nacht. Orangegelb - die Vergangenheit.  © Uwe Niemeier
Pantheon bei Nacht. Orangegelb - die Vergangenheit. © Uwe Niemeier


 

Frühmorgens, gegen halb sechs, kam das Licht,

es kam wie ein feiner Nebel aus kaltem Gold,

glitt durch die Schrägspalten der Holzläden ins Zimmer

und legte sich auf Stuhl, Tisch und Bett.

 

Zitat Hanns-Josef Ortheil aus dem Buch "Rom. Eine Ekstase", 

Sanssouci im Carl Hanser Verlag, München 2009

 

 

Lieber Markus,

 

warum schreibe ich ausgerechnet Dir diese Zeilen aus Rom? Denn, soweit ich weiß, warst Du ja die letzten 30 Jahre nicht in dieser Stadt, die man entweder auf Anhieb liebt. Oder sie in seinem Leben nie wieder betreten will. Warum also solltest gerade Du verstehen, was mich in Rom umtreibt? Ganz einfach. Weil Du ein Weintrinker bist, besser: ein Weinkenner. Einer, der neben dem Geschmack auf der Zunge und im Gaumen auch die Seele der Weine spürt und sie zu verstehen weiß. Oder eben auch nicht. Wie mit Rom.

 

Hast Du schon mal Wein bei Kunstlicht getrunken? Nehmen wir zum Beispiel mal die Verkostung eines Rieslings bei wechselnden Umgebungsfarben. Bei grünem Licht schmeckt der Wein sauer, hingegen drängen sich bei rotem Licht geschmacklich die Beerenaromen oder allgemein rote Früchte auf. Und blaues Licht lässt den Weintrinker alles viel gefälliger empfinden. Rotes Licht lockt dem Kunden sogar mehr Geld aus der Tasche als er beim Kauf derselben Flasche in einem Verkaufsraum mit weißem Licht zahlen würde.

 

Also Rom, zurück zu Rom. Die Stadt ist für uns so etwas wie ein Sonnenuntergang. Die leuchtenden Farben des Tages werden in den frühen Abendstunden mit pastellfarbenen Tönen in Sandgelb und Orange überpinselt und tauchen die abgeplatzten Hausfassaden mit ihrem Ocker und Ziegelrot in ein gnädiges Licht. Das Abendlicht des Südens hüllt Kirchentürme, antike Mauern, die Kronen der Pinien und Platanen am Tiberufer in einen zu groß geschnittenen Samtmantel ein. Doch die Magie der römischen Abende kommt erst zum Tragen, wenn die Straßenlaternen im Centro storico ihr kräftiges Gelborange über das blasser werdende Farbenpotpourri legen und die vielen Flaneure in den Gassen und auf den Plätzen warm umarmen.

 

So war es schon immer, jedenfalls die letzten 20 oder 30 Jahre. Und jetzt? Alles anders, alles vorbei. Wir sind betrogen. Jeder Römer ist betrogen. Der Zauber ist weg. Denn die städtische Stromgesellschaft erneuert alle Leuchten in der Stadt mit einem kalten, weißen Licht. Mit LED. Weil´s Strom spart, und Rom, wie wir wissen, hoch verschuldet ist. Die Römer gingen sogar auf die Straße, protestierten dagegen. Die römische Zeitung „La Repubblica“ schrieb sogar von einem Volksaufstand. Schön wär`s. Aber alles vergebens.

 

Da sitzen wir also abends auf der Piazza della Rotonda, übrigens unser Lieblingsplatz, und schauen in ein dunkles leeres Loch. Ein dunkles leeres Loch, wo früher das Pantheon im orangegelben Scheinwerferlicht strahlte, denn hier haben sie die Beleuchtung gleich ganz eingespart. Ringsherum zudem ein weißes Licht wie im OP-Saal eines Klinikums. Auch die Piazza Navona, einst Nabel römischer „Andare in giro“-Gänger, erinnert eher an eine Bahnhofshalle denn an einen gemütlichen Hof mit etwas größeren Ausmaßen.

 

Ich komme zum Wein zurück. Du verstehst jetzt sicher, warum wir mit einer kleinen Enttäuschung aus der ewigen Stadt in die südhessische Provinz zurückgekehrt sind. Das mit der Seele eines Weins ist wie mit der Seele einer Stadt. Ändere das Licht – und du änderst den Geschmack, die Emotionen.

 

Was können wir tun? Für die Beleuchtung in Rom haben wir vor unserer Abreise ein Kerzlein (kostet einen Euro!) in der Kirche Sant´Andrea della Valle entzündet und unser Bitten der jungfräulichen Maria an der Kirchenwand vorgetragen. Aber was sahen wir da? Die Jungfrau, umringt von LED-Lampen, hinter Glas, in einem kalten, weißen Licht. Dort also auch.

Verdi würde seine Tosca angesichts dieser eiskalten Kirchenatmosphäre wohl ein weiteres Mal von der Engelsburg zu Tode stürzen lassen.

 

O tempora, o mores!

 

Wir müssen also wiederkommen. Um unserer Bitte noch mehr Nachdruck zu verleihen!